Liebe Menschen,
Ende des 19. Jahrhundert begannen mutige Menschen für ihre Rechte zu kämpfen. Arbeiter*innen forderten gerechte Löhne, die Begrenzung der Arbeitszeit – bessere Arbeitsbedingungen also und letztlich die Achtung ihrer Würde. Der 1. Mai erinnert uns an ihren Kampf, an ihren Mut und an die Opfer, die sie gebracht haben, um die Arbeitswelt zu verbessern.
Doch während wir heute hier stehen, um diese Errungenschaften zu feiern, könnten die Herausforderungen unserer Zeit kaum größer sein.
In den letzten Jahren haben wir erlebt, wie eine Pandemie auch die Arbeitswelt nachhaltig verändert hat. Viele von uns mussten neue Formen des Arbeitens erlernen, z.B. im Homeoffice durch den Wechsel zu digitalen Plattformen. Dieser Wandel hat die Kluft zwischen denen, die Zugang zu Technologie haben und bereits über entsprechende Kompetenzen verfügen und denen, die mit anderen Voraussetzungen starten mussten, noch weiter vergrößert.
Global stellt uns der Klimawandel vor immense Herausforderungen. Während wir hier stehen, leiden andere Teile der Welt unter extremen Wetterbedingungen, die ihre Existenz bedrohen. Europa wird Studien zufolge in Zukunft noch viel stärker betroffen sein als heute.
Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit und letztlich des Überlebens: Wir müssen endlich anerkennen, dass ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen müssen, damit die Transformationen sozial gerecht erfolgen können, um niemanden zurückzulassen.
Gleichzeitig sehen wir, wie die Inflation Kaufkraft schmälert und die Lebenshaltungskosten steigen. Dies trifft vor allem diejenigen hart, die ohnehin schon wenig haben. Und das Altenburger Land ist einer der Landkreise, der in diesem Kontext oft als eines der Schlusslichter genannt wird.
Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren Europas, Das Streikrecht wird in Frage gestellt, Teile des Sozialstaats werden diskutiert, um nur ein paar Beispiele zu nennen
Wenn manche Arbeiter*innen so wenig bekommen, dass es angeblich (!) fast mehr lohnt, zu Hause zu bleiben, und Sozialleistungen zu beziehen – dann liegt das daran, dass Arbeit gerade in prekären Beschäftigungsverhältnissen nicht angemessen bezahlt wird.
Zugleich versuchen Menschen verschiedener, leider auch demokratischer Parteien, Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten gegen Arbeitslose und diese dann wiederum gegen Migrant*innen auszuspielen. Wir erleben in diesen Monaten zudem eine der stärksten Asylrechtsverschärfungen.
Unterdessen zeigen Studien immer wieder, wie stark das alles Menschen belastet, zuletzt die Studie „Jugend in Deutschland“ unter 14-29-jährigen:
Die Stimmung scheint derzeit zu kippen: Das zeigt sich an einem hohen Ausmaß an psychischen Belastungen wie Stress, den 51 % der Befragten angeben. Erschöpfung geben 36 % an und Hilflosigkeit 17 %. Alle drei Bereiche sind in den vergangenen drei Jahren trotz des Abflauens der Corona-Pandemie weiter angestiegen. Außerdem geben 11 % der Befragten an, aktuell wegen psychischer Störungen in Behandlung zu sein.
Das ist alles ist das Gegenteil von sozial gerechter Politik und einer inklusiven und solidarischen Gesellschaft und wird das Erstarken extrem rechter Kräfte, wie der AfD, weiter fördern – obwohl auch dem allerletzten nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen Anfang des Jahres klar sein sollte, dass am Ende alle dran sind, die nicht in das Weltbild passen. Und das sind in dem extrem begrenzten, homogenen, völkischen und damit menschverachtenden Weltbild sehr viele – ich möchte sagen: fast alle von uns.
Die demokratische Parteien sind offenbar nicht in der Lage, die Unzufriedenheit der Menschen aufzufangen und Interessen von Menschen, z.B. mit prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen zu bündeln und zu repräsentieren. Es fehlt ganz offensichtlich an Vertrauen in Sicherheit in Zeiten notwendiger Tranformationen in den Lebens- und Arbeitswelten der Menschen – auch eines der Themen der diesjähgien Veranstaltung zum 1. Mai.
Es ist eigentlich müßig an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die demokratie- und menschfeindlichen Kräfte wie die der sogenannten AfD für keines der genannten Probleme Lösungen parat hat, im Gegenteil. Aber das ist auch gar nicht deren Ziel.
Sie wollen sich nicht am demokratischen Diskurs beteiligen – am demokratischen Streit um die besten Ideen, um die Suche nach Komprimissen und auch unter Berücksichtigung von Minderheiten.
Sie wollen die parlamentarsche Demokratie delegitimieren und zerstören. Seit Jahren zeigt sich das auch auf den Straßen und Plätzen im Altenburger Land. Und seit Jahren zeigen das auch die Wahlergebnisse vor Ort. Und es stehen wieder Personen auf verschiedenen Listen zur Kommunalwahl, die in den letzten Jahren immer wieder Angst geschürt und Hass verbreitet haben.
Was mich trotz allem, zuversichtlich stimmt: Das, wovor Opferberatungsstellen wie ezra in Thüringen oder auch die Mobile Beratung in Thüringen seit langem warnen – die Zunahme rechter Gewalt und zugleich deren Verharmlosung und Normalisierung – scheint endlich auch die Breite der Gesellschaft verstanden zu haben.
Die deutschlandweiten Demonstrationen Anfang des Jahres, auch hier in Altenburg, haben das gezeigt, dass es offenbar endlich ein breites Bewusstsein gibt für die Gefahren extremer Rechter für eine freiheitliche Gesellschaft und für eine Demokratie als Aufgabe, als Teamarbeit und nicht als Selbstverständlichkeit.
Das zeigt sich auch in der Unterstützung und der Arbeit der thüringenweiten Initiative Weltoffenes Thüringen. Viele der heute hier anwesenden Organisationen und Menschen haben den Aufruf, den sie hier lesen können, bereits unterzeichnet, darunter auch der DGB, um nur ein Beispiel stellvertretend zu nennen.
Der Einsatz für die Demokratie zeigt sich auch ganz konkret hier in Altenburg und anderen Städten, Orten, Dörfern im Altenburger Land, u.a. im Aktionsbündnis für Demokratie und Solidarität Altenburger Land, dass auf Initiative von Menschen aus der teils seit Jahren unermüdlich engagierten Altenburger Zivilgesellschaft 2020 entstand.
Ich darf gemeinsam mit vielen anderen miterleben, dass es diese engagierte Altenburger Zivilgesellschaft noch immer gibt und dass sich Menschen, die sich schon 2020 zusammengeschlossen haben, um sich vielfältig, kreativ & entschlossen gegen menschenverachtende, völkisch-nationalistische & antidemokratische Hetze zu stellen, weiterhin aktiv sind.
Sie alle eint die Überzeugung, dass ein aktives und engagiertes zivilgesellschaftliches Umfeld essenziell ist, um die demokratischen Grundlagen der Gesellschaft zu stärken und demokratie- und menschenfeindlichen Bestrebungen entgegenzuwirken.
Bereits 2020 hat das Aktionsbündnis erklärt:
1. Extrem rechte Einstellungen und Ideologien der Ungleichwertigkeit haben im Altenburger Land keinen Platz.
2. Wir sind entschlossen, Demonstrationen von extrem Rechten im Altenburger Land gewaltfrei und im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verhindern.
3. Wir werden der extremen Rechten mit Aktionen zeigen, dass wir sie weder im Altenburger Land noch anderswo dulden.
4. Wir wollen das in gemeinsamen und gewaltfreien Aktionen erreichen.
5. Wir sind solidarisch mit allen, die diese Ziele mit uns teilen.
Ob im offenen Gedankenaustausch, in Vorträgen, Workshops oder Aktionsformen wie Demonstrationen und Straßenfesten: das Aktionsbündnis für Demokratie und Solidarität Altenburger Land versteht sich als zivilgesellschaftliche Initiative, die sich der Förderung von Demokratie und der Teilhabe aller Bürger*innen am gesellschaftlichen Leben verschrieben hat, in dem es sich nicht nur gegen extreme Rechte positioniert und Alternativveranstaltungen organisiert, sondern auch Menschen zusammenbringt und eigene Impulse setzt.
Es zeigt sich in der Geschichte des 1. Mai und auch aktuell: Mensch können erfoglreich sein, wenn sie sich zu Interessengruppen zusammenschießen und füreinander einstehen.
Allerdings stellt sich mir die Frage, wie lange die Zivilgesellschaft das noch leisten kann. Noch wird sie durch Demokratieprojekte unterstützt. Die Thüringer Landesregierung hat die Mittel für #Demokratieprojekte nach eigenen Angaben zwischen 2017 und 2022 von 4,75 Mio. Euro deutlich auf über 6 Mio. Euro erhöht.
Aber was ist ab Juni nach den Kommunalwahlen? Was ist ab Oktober nach der Landtagswahl? Ich habe schon zu viele Steine aus der Brandmauer bröckeln sehen, als dass ich es für nicht möglich halten würde, dass extrem Rechte Teil einer Regierung sein könnten – auch in Deutschland. Es wird einen langen Atmen brauchen.
Abschließend möchte ich sagen: Noch haben wir es in der Hand:
Was braucht es? Aktuell braucht es die Feuerwehr für Brandbekämpfung, wenn die Brandmauer bröckelt.
Für den Moment muss man sagen: extrem rechte wählt man nicht, nichts rechtfertigt das.
„Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein. Man diskutiert mit ihnen nicht, hat die Geschichte gezeigt“ Ihr kennt das.
Langfristig reicht das nicht, weil Menschen es trotzdem tun. Beinahe noch wichtiger: die langfristige Zusammenarbeit von Menschen vor Ort und die Möglichkeit der breiten Teilhabe von Menschen.
Es braucht echte Möglichkeiten, sich einzubringen, mitzugestalten. Überlegen Sie doch mal, wo und wann Sie das letzte Mal
a) die Gelegenheit hatten und
b) Sie auch tatsächlich ergriffen haben?
Wer für eine offene, demokratische Gesellschaft eintreten will, muss die soziale Frage auf der Agenda haben – und muss alle Teilsysteme der Gesellschaft demokratisch und partizipativ denken: egal ob Wirtschaft, Politik oder Bildungssystem.
Teilhabe, das Gefühl etwas gestalten zu können, beginnt im Kindesalter, in der Schule. Und das auch ein wesentlich Ort, wo erlebt und gelebt werden kann, dass der Wert eines Menschen nicht in der dessen ökonomischen Verwertbarkeit liegt, sondern allein schon in der Würde des Menschen liegt, die unantastbar ist.
Partizipation stärkt Demokratie und empowert Menschen, indem sie Menschen in Entscheidungsprozesse einbezieht und dadurch ein tieferes Verständnis für demokratische Werte sowie ein gestärktes Selbstwertgefühl fördert. Sie sorgt für gerechtere und inklusivere Entscheidungen durch die Berücksichtigung diverser Perspektiven. Bei Kindern entwickelt Teilhabe soziale und kommunikative Fähigkeiten, fördert Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit und baut Verantwortungsbewusstsein auf. Sie hilft Kindern auch, demokratische Prinzipien wie Fairness und Gleichberechtigung zu verstehen und zu verinnerlichen. Durch das frühe Erlernen von partizipativen Fähigkeiten entwickeln sich Kinder zu kritisch denkenden und problemlösungssuchenden Menschen.
Zusammen können wir eine Zukunft bauen, die auf den festen Grundlagen der Solidarität, der Gerechtigkeit und der Freiheit steht.
Vielen Dank.